CD-Kritiken zu "In Absentia":
Eclipsed Nr. 49 (02/2003):
Wie
sagte der französische Schriftsteller, Philosoph und Übersetzer
André Gide (1869-1951) einstmals: "Man entdeckt keine neuen
Kontinente, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu
verlieren." Bezogen auf die Musik, muss diese Aussage wohl etwas
relativiert werden. Porcupine Tree verstehen es auf ihrem neuen Album
"In Absentia" in neue Gefilde vorzustoßen, ohne Altbewährtes
komplett aufzugeben. Mit dem ersten Album auf einem Major-Label und
dem neuen Drummer Gavin Harrison, der ein gleichwertiger Ersatz für
Chris Maitland ist, findet man zwar keine ausufernden Instrumentalpassagen
oder psychedelische Spielereien wie auf früheren Alben, dennoch
ist alles erhalten geblieben, was die Band seit "Signify"
von 1996 ausmacht. Hinzugekommen ist stellenweise eine härtere
Nuance, die sich in krachenden Gitarrenriffs ausdrückt und durch
Steven Wilson’s Bekanntschaft mit den schwedischen Metalbands
Opeth und Meshuggah entstanden ist.
Ein Heavy Metal-Album hat sicherlich niemand von der Band erwartet
oder gewünscht, und es ist auch keines geworden. Der Opener "Blackest
Eyes" platzt mit so heftigen Gitarren heraus, dass man Angst um
seine Boxen haben muss, nur um daraufhin in traumhaft schöne, melodische
Vocals überzugehen, mit einem Refrain der seinesgleichen sucht.
Das folgende "Trains" ist deutlich sanfter, fast in Singer/Songwriter-Manier,
aber nicht ohne einige außergewöhnliche Instrumentalpassagen
(die Banjo-Sequenz und das Klatschen sind vielleicht etwas zu lang geraten)
und wiederum wunderschönen Gesangsmelodien. Weitere Höhepunkte
folgen mit "The sound of Muzak", welches an "Shesmovedon"
vom "Lightbulb Sun"-Album erinnert, und "Gravity eyelids",
das einen typischen Spannungsaufbau bietet und sich immer mehr steigert.
Porcupine Tree verstehen es hier, die harten Gitarrenpassagen wirklich
hart und gleichzeitig melodisch klingen zu lassen. Das folgende Instrumental
"Wedding nails" klingt im Vergleich zu früheren, ähnlichen
Tracks wie "Tinto brass" oder "Signify" etwas uninspiriert.
Es bleibt abzuwarten, welche Power dieser Track live entwickelt. Der
Track ".3" baut mit seinem typischen, subtilen, vorwärtstreibenden
Basslauf, den Streichern und eigentlich wenig Aufwand eine geradezu
majestätische Atmosphäre auf, die durch hinzukommende Gitarren
ergänzt wird und nie hätte aufhören dürfen. Das
brachiale "Strip the soul" und das unglaublich melancholische
"Heartattack in a lay by" sind herausragende Tracks, die dem
ganzen Album letztlich ohne Zweifel die Bestnote verleihen. Die auf
der Bonus-CD befindlichen Tracks "Drown with me" und "Chloroform"
runden das Bild mehr als ab, stehen sie doch den anderen Songs qualitativ
in Nichts nach. Überhaupt überzeugt "in Absentia"
durch eine unglaubliche Vielzahl an verschiedenen Gitarrenstilen und
Stimmungen sowie Tempi. Hier wird der Alternativrock und Postrock genauso
bedient wie der Artrock und ein bisschen der Metal, dennoch ist es ein
großes Ganzes geworden, ein Gesamtkunstwerk.
Stimmen zur Platte:
"PT vor dem definitiven Durchbruch, liefern mit "In Absentia"
trotz aller bisherigen Perfektion ihr großartigstes Werk ab. In
Tracks wie "Trains", "Sound Of Muzak" oder "Heartattack
In A Layby" bestätigt Wilson einmal mehr als Songwriter der
Extraklasse"
"Auch als absoluter Porcupine Tree-Fan überraschte mich,
wie gut diese Scheibe wurde. Nach den eher zurückhaltenden letzten
beiden Alben kommt "In Absentia" mit einer Wucht daher, die
mich auch nach dem 50sten mal hören fesselt."
"Na endlich, Porcupine Tree haben den richtigen Weg eingeschlagen:
"In Absentia" ist ein wirklich großer Wurf! Inspiriert
komponiert, mit Schmackes gespielt und nur noch ein tranfunzeliger Füller..."
"Sind sie nun bodenständiger, rockiger oder gar kommerzieller
geworden? Im Grunde zeigt "In Absentia" doch nur all das,
was gute, nur nicht zu weit abgehobene progressive Rockmusik bereits
in den 70ern ausmachte!"
"Es mag ja Bands geben, die ein Major Deal versaut, PT gehören
jedenfalls nicht dazu. Selten wurden zeitgemäße Sounds so
gekonnt integriert, ohne die eigene Identität zu zerstören."
Progressive Newsletter Nr. 42 (12/2002):
Nach
vielen Jahren harter, kontinuierlicher Arbeit haben sie es nun doch
geschafft: Porcupine Tree sind mit ihrem siebten Studioalbum endlich
bei einer Majorcompany untergekommen. Chance oder Risiko? Die Befürchtung,
dass die Band um Steven Wilson ihre musikalische Identität "verkauft"
haben könnte, war bereits im Hinblick auf die jahrelange, völlig
unabhängige, jedoch sehr zielgerichtete Entwicklung der Band, schon
vom Ansatz her nicht zu erwarten. Zudem kann im Vorgriff auf den Inhalt
von "In Absentia", diese Befürchtung zusätzlich
entkräftet werden. Das Album ist vielmehr eine konsequente Fortführung
der letzten beiden Outputs "Stupid Dream" und "Lightbulb
Sun", dennoch besitzt es einen ganz eigenen Charakter und neue
Elemente, doch dazu später mehr. Somit ist der Schritt zu Lava
/ Eastwest Records auf jeden Fall als sehr große Chance zu sehen,
vor allem was den amerikanischen Markt betrifft. Weiterhin wurde im
Vorfeld der Veröffentlichung wohl durchdacht das Internet als Werbeplattform
genutzt, "Gravity Eyelids" gab es als kostenlosen Komplettdownload,
das unveröffentlichte "Chloroform" wurde ein paar Wochen
später, mit zugehöriger Verlosung, nachgelegt. Es gibt also
doch noch innovative Ideen, wie man den angeblichen "Musikkiller"
MP3 geschickt für seine Zwecke nutzen kann.
Doch nun zum musikalischen Inhalt des neuen Albums und da kann man es
sich kurz und einfach machen: "In Absentia" ist ein absolutes
Klassealbum! Wiederum hat Steven Wilson einige wunderbare Melodien aus
dem Hut gezaubert, die geschickt in musikalisch ausgefeilte Arrangements
verpackt wurden. Unterschwellig gibt es natürlich einen gewissen
Wiederholeffekt, wenn man bereits jahrelang mit seinem typischen Stil
vertraut ist. Sei es nun in der Melodieführung, den Stimmungen,
bei bestimmten Riffs, typischen Gitarrensounds, aber trotzdem klingt
"In Absentia" unheimlich frisch und neu. Dies liegt vor allem
daran, dass das Album insgesamt eine Spur düsterer, melancholischer,
aber vor allem wesentlich härter ausgefallen ist. Es scheint so,
als ob sich die Support Tätigkeiten bei Dream Theater und das Produzieren
in Heavy-Gefilden, z.B. bei Opeth, ebenfalls auf den Sound von Porcupine
Tree niederschlagen.
Doch diese neue Härte tut der Band gut, wobei es natürlich
immer noch die elegischen, mehr floydigen Parts zu hören gibt,
"kaputte" Keyboardsounds sich wiederfinden, verträumte
Teile hier und da dem Album Ruhepausen verordnen, aber auch moderne
Progressive Rock Elemente anzutreffen sind. Eine Hauptstärke dieses
Albums liegt wiederum in den sehr interessanten, den Hörer gefangennehmenden
Melodien, der Kompaktheit des gesamten Albums, welches ohne jegliche
Durchhänger auskommt, sowie dem geschlossenen, über die Jahre
gewachsenen Bandgefüge. Der Wechsel an der Schießbude konnte
sehr gut kompensiert werden, Gavin Harrison trommelt mit ausgezeichnetem
Drive und Variationsreichtum. Durch den vermehrten Gitarreneinsatz hatte
man übrigens auf der US Tour John Wesley (u.a. ex-Fish Gitarrist)
als fünftes Bandmitglied auf der Bühne, der als zusätzlicher
Gitarrist und Sänger fungierte.
Auch wenn die insgesamt zwölf Titel, jeder für sich über
seine Qualitäten verfügt, so sollten doch ein paar Songs besonders
hervorgehoben werden. Da wäre zum einen der Opener "Blackest
Eyes" der geschickt Heavy Riffs mit sanfteren Akkustikparts verbindet,
sowie das mit einer dieser magischen Porcupine Tree Melodien ausgestattete
"The Sound Of Muzak". Zum anderen ".3", der absolute
Monstertrack des Albums mit sehr sphärischen, floydigen Parts und
das eher sparsam, recht minimalistisch arrangierte "Collapse The
Light Into Earth", welches mit wunderbarer Geigenuntermalung (echt
oder gesampelt?) bombastisch endet. Diesen vier Titel stehen stellvertretend
für die wechselnden und verschiedenen Stimmungen und Elemente auf
"In Absentia".
Die ersten 20.000 Exemplare dieses Album werden übrigens in einer
Miniatur Vinyl-ähnlichem Gatefold Cover verpackt sein, für
das Frühjahr 2003 ist eine Veröffentlichung von "In Absentia"
als Doppel LP geplant, Anfang Februar ist das Album endlich auch als
reguläres Album ohne teuren U.S. Importpreis bei uns erhältlich.
Auf der ausgiebigen US Tour im Herbst, spielte man mehrfach als Support
Act für Yes, für das Frühjahr ist eine Europatour ebenfalls
in Planung - Porcupine Tree sind zurück, stärker denn je!
Empire Nr. 66 (1/2003):
Eigentlich bereits für Ende letzten Sommers angek¨ndigt, kommt die neue Porcupine Tree - Scheibe doch erst jetzt in
die Läden. Einiges hat sich getan im Lager der Mannen um Steven Wilson, so gibt es zum Beispiel einen Major Deal zu
vermelden. Es hat Steven ja schon lange gestunken, dass Porcupine Tree zwar viel besser sind als Radiohead, aber trotzdem
viel weniger Alben verkaufen. Ob "In Absentia" an die Verkaufszahlen von Radiohead herankommt, darf zwar
bezweifelt werden, dafür ist es aber vom ersten Moment an überzeugend und belehrt alle, die da der Meinung sind,
dass ein Majordeal generell mit einer Kommerzialsierung und einem damit verbundenen Qualitätsverlust einhergehen muss,
eines Besseren. Hier wird das Beste aus den beiden Studioalben "Stupid Dream" (1999) und "Lightbulb Sun"
(2000) auf höherem Niveau vereint, und das, ohne sich von den psychedelischen Wurzeln gänzlich zu lösen.
Nachdem man mit "Blackest Eyes" mit ungewöhnlich heavy Gitarren startet, kommt bei dem von akustischen
Gitarren dominierten "Trains" schnell das typische Porcupine Tree - Feeling der Vorgänger-Alben auf.
"Lips Of Ashes" schlägt in etwa in die gleiche Kerbe, hat jedoch einen etwas stärkeren psychedelischen
Touch, bevor es mit "The Sound Of Muzak" wieder rhythmischer wird. "Gravity Eyelids" ist mit acht
Minuten das längste Stück auf dem Album und wird nach ruhigem Beginn von einem deutlich härteren
Instrumentalpart im Mittelteil des Songs bestimmt. "Wedding Nails" ist ein schon fast frickelig zu nennender und
auch recht harter Intrumentaltrack, gefolgt von "Prodigal", das so in die Ecke ruhige Floyd/RPWL eingeordnet
werden kann. ".3" beginnt mit einem treibenden Basslauf, bleibt dann aber über weite Strecken instrumental
und auch eher ruhig. Auf "The Creator Has A Mastertape" agiert die Band dann wieder rhythmischer, mit
verzerrtem Gesang und erneut teilweise extrem harten Gitarren, um dem Hörer dann mit "Heartattack In A Layby"
wieder eine Verschnaufpause zu gönnen. "Strip The Soul" ähnelt "The Creator Has A Mastertape"
und mit "Collapse The Light Into Earth" klingt das Album wunderschön melancholisch aus. Man mag sich gerne
stundenlang darüber unterhalten, in welche musikalische Schublade ein Album wie "In Absentia" gehört -
egal, es ist in jedem Fall genial.
Rock Hard Nr. 189 (02/2003):
Steven
Wilson ist integer bis in die kleinste Faser seines zierlichen Körpers.
Da unterschreibt seine Band einen US-Majordeal und wird als größte
Progrock-Hoffnung seit den frühen Marillion gehandelt, doch anstatt
ein Ohrwurm-Album à la "Stupid Dream" oder "Lightbulb
Sun" abzuliefern, geht das Multitalent auf "In Absentia"
so experimentell wie schon lange nicht mehr und so heavy wie noch nie
zur Sache. Mit dem düsteren Bombast-Monolithen '.3' und dem unwiderstehlichen
Tanzflächen-Härtner 'Wedding Nails' erinnern zwei Instrumentalstücke
an "Signify"-Frühzeiten, beim peitschenden Rifforkan
'The Creator Has A Mastertape' knarzen verzerrte Vocals, und im Kontrast
dazu tauchen die ruhigen, einfühlsam arrangierten Gänsehäuter
'Lips Of Ashes' und 'Heartattack In A Layby' gaanz tief in Mitsiebziger-Artrock-Balladen-Soundozeane
der Marke Genesis und Pink Floyd ein. Doch PORCUPINE TREE delirieren
nicht in der Vergangenheit vor sich hin, sondern kombinieren ihren Retro-Background
mit topmodernen Einflüssen und einer unglaublich druckvollen, glasklaren
Wilson-Produktion. Bei 'Gravity Eyelids' wird fast unmerklich eine Electronica-Farbschicht
aufgetragen, das entspannt groovende 'Trains' findet den idealen Mittelweg
zwischen Akkustik- und Distortion-Rock, und mit dem harten Sahnestücken
'Blackest Eyes' und 'Strip The Soul' (das nicht nur aufgrund des beklemmenden
Videoclips an Tool erinnert) liefert man Hits ab, die auch im US-Mainstream-Radio
Chancen haben werden. Eindrucksvoller kann man Rockmusik eigentlich
nicht mehr in Szene setzen, und doch gelingt es dem ultrabegnadeten
Quartett, die eigenen Geniestreiche noch zu toppen: Bei den Jahrhundert-Refrains
der kompakten Seelenstreichler 'The Sound Of Muzak' und 'Prodigal' geht
selbst im tiefsten Trauertal die Sommersonne auf, nur um beim abschließenden
Piano/Streicher-Tränentreiber 'Collapse The Light Into Earth' unendlich
schön und majestätisch hinter dem Horizont zu versinken.
Dieses von einer Drei-Track-Bonus-CD und dem 'Strip The Soul'-Clip noch
zusätzlich aufgewertete Wunderwerk MUSS jeder haben, der auch nur
ansatzweise auf Bands wie Pink Floyd, Radiohead, Manic Street Preachers,
Marillion, Dave Matthews Band oder Rush steht! Bessere und intensivere
Musik werden wir in diesem gerade erst angebrochenen Jahr höchstwahrscheinlich
nicht mehr zu hören bekommen.
Hard Rock & Metal HAMMER Februar 2003:
Das
erste große Fragezeichen entsteht schon bei der Namensnennung:
Ich frage mich, ob wirklich alle Prog Rock-Fans die Briten Porcupine
Tree auf der Rechnung haben. Warum? Weil sie im Gegensatz zu Dream Theater,
zu Rush, Spock’s Beard oder Symphony X zumindest in deutschen
Medien nicht eben übermäßig präsent waren. Das
soll sich jetzt ändern. Und das wird sich ändern! Immerhin
hat die Band um Mastermind Steven Wilson und Ex-Japan-Keyboarder Richard
Barbieri einen lukrativen Vertrag bei Eastwest ergattern können.
Eine Art Ritterschlag für Bands diese Genres, die bislang zumeist
bei kleineren Labels ein (finanziell) eher bescheidenes Schicksal fristeten
und ihre Karriere durch viele kleine Schritte hartnäckig forcieren
mussten. IN ABSENTIA dokumentiert anschaulich, weshalb diese Musikrichtung
mit ihren unverhohlenen Querverweisen an Pink Floyd und Genesis, an
Yes und frühe King Crimson zurzeit wieder Aktualität erlangt
hat. Porcupine Tree beziehen sich nicht ausschließlich auf die
Urväter dieser Gattung, sondern fügen aktuelle Strömungen
und Sounds ein, vermischen diese mit archaischem Klanggut und führen
sie zu neuen Ausdrucksformen. 'Blackest Eyes' etwa verbindet krachende
Gitarren mit einem überaus dynamischen Groove und hätte so
oder vergleichbar auch auf SIX DEGREES OF INNER TURBULENCE (Dream Theater)
stattfinden können. In 'The Creator Has A Mastertape' rüttelt
und schüttelt es gar kühl-technoid á la Nine Inch Nails.
Daneben gibt es mit 'Lips Of Ashes' Roger Waters-Stimmungen á
la 'Welcome To The Machine' (von Pink Floyd's WISH YOU WERE HERE, 1975)
und mit '.3', 'Sound Of Muzak' und dem durch original Streicher aufgewerteten
'Collapse The Light Into Earth' das totale Eintauchen in die faszinierendsten
Tiefen von zeitgemäßem Prog Rock. Dies ist alles so geschickt
in moderne Gewänder, eine aktuelle Produktion und pfiffige Arrangements
eingewoben, dass man sich die Porcupine Tree-Verantwortlichen nicht
nur als wichtige Impulsgeber, sondern sogar als Evolutionäre ihrer
Stilrichtung vorstellen könnte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.01.2003, Nr. 15:
Die Musik der Zukunft wird uns nicht unterhalten
Wer früher ein Konzeptalbum veröffentlichte, tat dies auf
die Gefahr hin, daß es wenig im Radio gespielt wurde. Das Ganze
war mehr als die Summe seiner Einzelteile, und das sollte auch so sein.
Obwohl wir bis heute "When I'm Sixty-Four" immer mal wieder
im Radio hören, ist es doch so, daß es nicht einzelne Lieder
sind, die uns an "St. Pepper's Lonely Hearts Club Band" interessieren,
sondern das Werk an sich. So ist es mit allen großen Konzeptalben
der Popgeschichte Wer wollte aus "Pet Sounds" von den "Beach
Boys", "Desperado" von den "Eagles", "Arthur"
von den "Kinks", "Tommy" und "Quadrophenia"
von den "Who" sowie "Dark Side Of The Moon" von
"Pink Floyd" einen Titel herausheben, um damit etwas über
die Bedeutung des Albums zu sagen? Längst ist das Konzeptalbum
nicht nur in Vergessenheit geraten, sondern geradezu in Verruf. Der
Kunstanspruch, der automatisch damit verbunden war, wurde den Interpreten
rasch als prätentiöses Getue ausgelegt; Bands wie "Emerson,
Lake And Palmer", "Genesis", "Yes" und "King
Crimson", die eine Zeitlang durchaus mit Respekt als progressiv
bezeichnet wurden, machten sich mit unausgegorenen, kostspieligen Großtaten
in kommerzieller orientierten Kreisen irgendwann zum Gespött, und
es trat eine Situation ein ähnlich der im Film, wo in den neunziger
Jahren ein Regisseur von sich sagte, er mache Filme für Leute,
die die Nase voll haben von Peter Greenaway. Mittlerweile ist ein Konzeptalbum
schon aufgrund der längeren Spieldauer der CD beinahe ein Ding
der Unmöglichkeit. Kaum einer will das Risiko eingehen, die Leute
eine Stunde lang mit einer Idee zu langweilen, die nicht trägt;
da verläßt man sich lieber auf ein, zwei Singles, die ein
ganzes Album tragen. Steven Wilson hat sich in seinem Interesse, in
seiner Begeisterung für progressive Rockmusik, vor allem in deren
psychedelischer Spielart, nie irre machen lassen. Ende der achtziger
Jahre trat der Syd-Barrett- Verehrer unter dem Namen "Porcupine
Tree" (Stachelschwein- Baum) mit mehreren Veröffentlichungen
hervor, die ihn als geradezu unwahrscheinlich vielseitigen Multiinstrumentalisten
auswiesen, auch wenn niemand so recht wußte, ob das ein Pseudonym
sein sollte oder ob dahinter eine ganze Band steckte. "Ich spiele
alles", behauptete Wilson vor Jahren und beanspruchte damit eine
Alleinherrschaft über Plattenproduktionen, wie wir sie eigentlich
nur noch vom jungen Mike Oldfield kennen. "Porcupine Tree"
waren eine Zeitlang Englands bestgehütetes Geheimnis, eine Phantomband
mit Substanz. Inzwischen steht soviel fest, daß es sich um ein
Quartett handelt und am übernächsten Montag das sechste oder
achte Album endlich auch in Deutschland erscheint - je nachdem, ob frühere
Mitmusiker als Gäste oder Bandmitglieder gewertet werden. Nun liegt
"In Absentia" vor, das Debüt für Eastwest, dessen
europäischer Ausgabe drei Bonustitel beigegeben sind. Eine Doppel-Vinylversion
ist für das Frühjahr angekündigt, für all jene,
die es sich dabei auf dem Flokatiteppich bequem machen wollen. Doch
Vorsicht! Steven Wilson und Richard Barbieri (Keyboards), Gavin Harrison
(Schlagzeug) sowie Colin Edwin (Baß) führen zwar das Erbe
der Kunstrocker fort, doch gelegentlich kracht es derartig, daß
man meinen könnte, ein reines Heavy-Metal-Machwerk aufgelegt zu
haben. Offenbar sind die zwölf Titel, in die sogar Westcoast- und
Folkeinflüsse eingearbeitet sind, nach alter Konzeptalbenmanier
dazu gedacht, daß man sie in einem Zug hört. Das macht dann
achtundsechzig Minuten, aber das ist keine Zumutung - vorausgesetzt,
man stört sich nicht an den düster verhangenen Texten, die
zum Beunruhigendsten gehören, was man im Bereich der nicht indizierten
Rockmusik hören kann. Wilson singt mit dünner, jederzeit kontrollierter
Stimme, die zuweilen an Jon Anderson von "Yes" erinnert, von
Ängsten und der Freude, die mancher dabei empfindet, wenn er sie
anderen einjagen kann "A mother sings a lullaby to a child / Sometime
in the future the boy goes wild / And all his nerves are feeling / some
kind of energy / A walk in the woods and I will try / Something under
the trees that / made you cry / It's so erotic when your make-up runs"
- der Eingangssong "Blackest Eyes" schlägt die Tonlage
an, die in der Folge beibehalten wird. Genau das Richtige in unseren
Zeiten von Kannibalismus, Kriegsangst und Todesstrafendebatten, könnte
man sagen, wenn es nicht so leichtfertig klänge - und wenn Steven
Wilson nicht sowieso ein übergeordnetes Interesse an psychischen
Nöten hätte, das nicht an Feuilletondebatten gebunden scheint.
Ein bedrohlicher Unterton durchzieht die bei aller Bereitschaft zum
Brachialen doch immer wieder wie sinfonisch ausladenden, form- und klangvollendeten
Lieder über den Herzanfall auf dem Parkplatz, zwanghafte Selbstentblößung
und die Wahrnehmungsstörungen einer ängstlich sich verkriechenden
Existenz - vielleicht nicht immer eine Gehirn-, aber eine Ohrenwäsche
auf jeden Fall, die die Gehörgänge für die Zukunft frei
macht. "The music of the future will not entertain", heißt
es im "Sound Of Muzak". Was soll sie denn sonst? Niemand weiß
es; aber Steven Wilson vermittelt uns das Gefühl, daß die
Progression der Rockmusik noch nicht abgeschlossen ist.
STEREO 02/2003:
Wenn
das Gitarrenriff des Openers "Blackest Eyes" erklingt, glaubt
man zu wissen, wohin die Reise geht: Nu Metal scheint angesagt, jeden
Moment wird ein zorniger Rapper losbellen, bis sich die Tattoos auf
seinem Hals gefährlich blähen. Falsch, ganz falsch. Stattdessen
singt eine stark verhallte Stimme zur akustischen Gitarre, der Song
verströmt psychedelisches Britpop-Flair, mehrstimmige Gesänge
sorgen für Wohlklang. Und so geht es auch weiter: Folkige Melodien,
die an Jethro Tull erinnern, Keyboard-Flächen wie bei den frühen
Pink Floyd und ein Harmoniegesang, der sonnenverwöhnten Westcoast-Rockern
zur Ehre gereichen würde. Porcupine Tree, vor elf Jahren in London
gegründet und noch immer beinahe ein Geheimtipp, orientieren sich
unüberhörbar am progressiven, kunstsinnigen Rock der späten
60er und 70er Jahre, ihr Verdienst besteht darin, weder altbacken zu
klingen, noch so selbstverliebt und technisch-kühl wie manche der
zeitgenössischen Progrock-Akrobaten zu sein. Das liegt natürlich
in allererster Linie an Steven Wilsons Kompositionen: Der Mann hat ein
wunderbares Gespür für zarte, eingängige und dennoch
klischeearme Melodien, zudem sind die Songs meist geschmackvoll zurückhaltend
instrumentiert und äußerst intelligent arrangiert: Die Art
und Weise, wie Porcupine Tree mit der Dynamik spielen und Höhepunkte
setzen, erinnert bisweilen an Radiohead. Lediglich das tendenziell aufdringliche
Instrumentalstück "Wedding Nails" trübt den guten
Eindruck, generell fällt die zweite Hälfte des Albums ein
wenig ab. Macht aber nichts, denn trotzdem ist "In Absentia"
schlichtweg hervorragend.
KEYBOARDS 02/2003:
Am
Anfang war ein Witz, wie er wohl nur Briten einfallen kann. Anno 1987
erblödeln sich zwei Londoner, der 20-jährige Steven Wilson
und ein Freund (Malcolm Stocks), die Biographie einer angeblich legendären,
seit Jahren verschollenen Seventies-Psychedelic-Prog-Combo namens Porcupine
Tree, erfinden Band-Mitglieder, die es nie gegeben hat, und eine Diskographie,
die mit "bizarr" noch freundlich umschrieben ist. Um der Fiktion
den Anstrich des Faktischen zu geben, spielt der multiinstrumental begabte
Wilson einige Stunden Musik ein, die er zwischen 1989 und '91 auf zwei
Kassetten unters Volk bringt. Volk lässt sich nur zu gern foppen
- ein "Porcupine Tree"-Track findet seinen Weg auf eine Compilation
des Mini-Labels Delerium und lässt Presse wie Publikum aufhorchen.
1992 schiebt das Label mit dem Doppel-Vinyl "On The Sunday Of Life"
ein Best-of-Substrat der beiden MCs sowie eine 30-minütige Single
("Voyage 34") nach, die von jetzt auf gleich die UK-Indie-Charts
stürmt. Unversehens ist aus der Fiktion ein Fakt geworden, und
für Wilson gibt's kein Zurück mehr. Ende '93 stellt er zusammen
mit Bassist Colin Edwin, Drummer Chris Maitland und Ex-Japan-Keyboarder
Richard Barbieri ein Live-Line-up auf die Beine, das Porcupine Tree
in den folgenden acht Jahren mit Tourneen durch Europa und die USA als
nachgerade kultisch verehrten Prog-Act etabliert, dessen Fangemeinde
wächst und wächst. Im Dezember 2001 unterzeichnet die Formation
nach 6 Indie-Studioalben (drei von ihnen im Live-Quartett-Format eingespielt)
sowie diversen Konzertmitschnitt-Releases und Raritäten-Kompilationen
einen internationalen Exklusiv-Vertrag mit dem US-Label Lava. Im Februar
2002 steigt Trommler Maitland aus, doch im März ist man schon wieder
im Studio und spielt in London, New York und L.A. mit dem Mehr-als-nur-ein-Ersatz-Drummer
Gavin Harrison binnen 12 Wochen das Album ein, das nun schon seit September
- der Monat, in dem "In Absentia" das Licht der US-CD-Shops
erblickte – diverse KEYBOARDS-Redaktions-Player heiß laufen
lässt. Warum? Weil sich die redaktionellen Testhörer im Nu
einig waren (und sind): großes Album, Super-Band! Wieso? Mit "In
Absentia" ersteht noch einmal auf, was Geschichte zu sein schien:
die Epoche der klassischen "handgemachten" Rockmusik und der
Alben, die den Namen "Album" verdient haben, weil sie mehr
sind als eine Kopplung von Hit-Singles und verzichtbarem Füllmaterial.
"In Absentia" ist aus einem Guss, ein Album halt. Und es ist
eine musikalische Tour-de-force. Vom schwermetallischen Opener "Blackest
Eyes" (Led Zeppelin revisited!) über das an die frühen
guten Genesis gemahnende "Lips Of Ashes" (Track 3) und das
King-Crimson-eske Instrumental "Wedding Nails" (Track 6) bis
zur steinerweichend romantischen, mit Echtzeit-Streichern geschmückten
Piano-Ballade "Collapse The Light Into Earth" (Track 12) brillieren
Porcupine Tree mit instrumentalen Spitzenleistungen und Vokalsätzen
à la Crosby Stills Nash & Young und Pink "Wish You Were
Here" Floyd. Das eigentliche Wunder aber: das alles klingt nicht
im mindesten retro, sondern absolut heutig - deshalb auch, weil P.T.-Mastermind
Wilson mit verschwurbelten Fantasy-Lyrics nichts am Hut hat, sondern
lieber der Plattenindustrie die Leviten liest und der MTV/VIVA-"Kultur"
knallhart Saures gibt: "Music of the future will not entertain...
One of the wonders of the world is going down... And no-one cares..."
(Track 4, "Sound Of Muzak"). And no-one cares? Das wollen
wir nicht glauben. Denn Sie kümmern sich und kaufen "In Absentia",
oder? Ein Meisterwerk.
Heavy, oder was!? Nr. 67 (Januar/Februar 2003):
Vom
"neuen PORCUPINE TREE"-Album zu sprechen, wäre in Anbetracht
der Tatsache, daß "In Absentia" bereits seit September
auf dem US-amerikanischen Markt erhältlich ist und auch im mitteleuropäischen
Breitengraden längst seine Promotion-CD-Runde gedreht hat, nicht
ganz korrekt. Doch unerfindliche Gründe haben das Band-Management
bewogen, die Veröffentlichungstermine hierzulande ins neue Jahr
zu verlegen und das Album erst im Januar 2003 in die Läden zu bringen.
Immerhin Gelegenheit, 'In Absentia' vor der Rezension reifen zu lassen,
was einem PORCUPINE TREE-Album nur zu Gute kommen kann. Denn obgleich
sich Mastermind Steven Wilson und seine Begleiter längst songorientierteren
Kompositionsprinzipien zugewandt haben, ist ihre Musik kaum leichte
kost. Und 'In Absentia' selbst geriet sperriger als seine beiden Vorgänger
'Stupid Dream' und 'Lightbulb Sun', was es nicht zuletzt dem Mehr an
überraschender Gitarren-Härte verdankt, das Songs wie 'Blackest
Eyes' oder 'Trains' prägt. Was nicht heißt, daß die
angenehm melancholischen Melodien Wilsons nicht allgegenwärtig
wären. Und was noch weniger heißt, daß auf 'In Absentia'
Verzicht auf komplexe Strukturen und langgezogenen, atmosphärische
Instrumentalinterludien geübt würde. Beide Band-Trademarks
gibt es noch zur Genüge, nur gibt sich 'In Absentia' - wie jedes
typische PORCUPINE TREE-Album - nicht mit dem bloßen Nachahmen
seiner Vorgänger zufrieden. Entstanden ist ein weiterer Höhepunkt
modernen Prog und Art.
Musikexpress Nr. 565 (02/2003):
Gewiss, ein Bandname wie Porcupine Tree wirkt zunächst abschreckend,
klingt er doch nach gekünsteltem Surrealismus aus der Oberstufe.
Glaubt man den Biografen, dann hatten Bandgründer Steven Wilson
und seine Kumpels jedoch die Spinal - Tap - Variante eines "legendären"
Progrock -Acts im Hinterkopf, als sie den Stachelschweinbaum pflanzten,
was zwar ein wenig albern, aber dennoch gutartig erscheint. Doch die
Missverständnisse gehen weiter : Hört man das Initialriff
des Openers "Blackest Eyes", erwartet man in den nächsten
Sekunden einen Nu Metal-Shouter, der derart zornig losbellt, dasses
aus seinem Hals - Tatoos die Farbpigmente heraustreibt. Doch dann die
Überraschung : akustische Gitarren, verhallter Gesang, britische
Folk - Melancholie, gepaart mit psychedelischer Verschrobenheit. Das
erinnert an Jethro Tull und Pink Floyd, als sie noch richtig gut waren
, ist aber keine Retro - Veranstaltung, das erinnert in manchen Momenten
an Radiohead, ist aber keine Kopie. Porcupine Tree sind hoch melodisch
ohne anbiedernd zu sein, und kunstfertig, ohne selbstverliebt zu wirken.
Zudem beherrschen Wilson und seine Kollegen die hohe Kunst der Dynamik
und Auflösung : Da folgen ungeraden Beats und unkonventionellen
Melodien umso versöhnlichere Harmonien, da wird ganz unprätentiös
mit Gegensätzen gespielt und Spannung erzeugt. Schade nur, dass
IN ABSENTIA in der zweiten Hälfte ein wenig nachlässt, nicht
zuletzt das allzu prog - rockige Instrumentalstück "Wedding
Nails" stört den Flow. Aber dennoch : Bei all den gebotenen
Qualitäten muss man sich fragen, warum Porcupine Tree - vor immerhin
elf Jahren in London gegründet - noch immer ein Dasein als Nischenprodukt
fristen. Vielleicht liegts ja doch am Bandnamen.
Visions Nr. 120 (März 2003):
So
klingt 'echter' Progressive Rock im Jahr 2003. -Opeth- Boss Steve Wilson
und Co. verweisen alle Möchtegern-Proggies in die Schranken. Der
Begriff 'Progressive Rock' wird seit experimentelleren Alben von Tool,
Radiohead, Sigur Ros und diversen Emocore-Kapellen inflationär
an Bands geheftet, die mit dem eigentlichen Stil von Seventies Acts
Yes, King Crimson oder Pink Floyd wenig bis nichts gemein haben. Erheblich
erkennbarer den Spuren dieser klassischen Prog-Gruppen verpflichtet
ist seit nunmehr 15 Jahren Steven Wilson (No-Man, Opeth) samt Begleitern
(u.a. Japan-Keyboarder Richard Barbieri). Handwerkliche Perfektion mit
künstlerisch-kreativem Anspruch zu kombinieren, war damals wie
heute Maxime Nummer Eins, wobei weder "In Absentia" noch seine
Vorgänger als gestriger Abklatsch oder reine Tributwerke zu verstehen
sind. Vielmehr kann die Combo den bombastisch-introvertierten Sound
(in diesem Genre kein Widerspruch!) problemlos und ohne Authentizitätsverlust
in die Gegenwart transportieren. Beste Beispiele dafür sind die
jeweils achtminütigen, komplex verschachtelten, mit Psychedelia-Elementen
ausgestatteten "Strip The Soul" und "Gravity Eyelids".
Ihre Länge merkt man den Nummern kaum an, weil sie über die
komplette Spielzeit spannend bzw. frisch bleiben. Wo z.B. Dream Theater
sowie andere aus dem Metal-Sektor kommende Kollegen viel zu oft Anspruch
mit unnötiger Härte und/oder richtungslosem Gegniedel kombinieren,
bleiben Porcupine Tree nachvollziehbar - nicht zuletzt auf Grund der
stringenten Schlagzeugarbeit von Gavin Harrison. Weitere Highlights
einer großartigen Platte sind das Pink Floyd-artige "Prodigal"
und das skurril-schizophrene "Heartattack In A Layby"
WOM Journal (Februar 2003):
Das
siebte Porcupine Tree-Epos bietet genau das, was man von den Briten
erwartet: epische Schwelgereien mit Anleihen bei Hardrock, Progressive
und Psychedelia. Wobei der klaffende Gegensatz aus harten Riffs und
hönigsüßen Refrains, frontalen Breaks und eingängigen
Melodien etwas Faszinierendes, mitunter Hypnotisches hat. Kein Wunder:
Mastermind Steven Wilson beherrscht seine Led Zeppelin, Black Sabbath
und King Crimson ebenso, wie folkiges 60s Geschrammel a la Fairport
Convention, blumige LSD-Sounds (Beatles, Beach Boys) oder komplexes
Multitracking im Sinne früher Pink Floyd. All das wirft er in einen
großen Topf, rührt kräftig durch und versieht es mit
einer mustergültigen Produktion. Das Ergebnis spricht Fans aus
allen Genres und Lagern an und wartet immer wieder mit Überraschungen
auf. Erlaubt ist, was phantastisch und abenteuerlich klingt. IN ABSENTIA
– ein Album, das in jede gut sortierte Rock-Sammlung gehört.
Weil es Maßstäbe in Sachen Songs und Sounds setzt.
JPC Courier (Februar 2003):
Schau
an, es gibt sie also noch. Die gut gehüteten Geheimnisse, die prächtig
schimmernden, aber gut versteckten Perlen, die unentdeckten Klangbiotope
in dem mit Kommerz - Phosphaten gesättigten Nährboden der
Musikindustrie. Eines davon: Porcupine Tree. Das Quartett hat sich schon
vor 15 Jahren in London gefunden, mit In Absentia veröffentlichen
sie schon ihr siebtes Album. Solche Ausdauer könnte jetzt belohnt
werden. Nicht nur, weil sich eine Major-Company der Formation annimmt.
Sondern vor allem, weil das neue Album mit einem Dutzend bemerkenswerter
Songs aus dem Groß der CD-Veröffentlichungen hervorsticht.
Freilich ist die Musik der Band um Sänger und Songschreiber Steve
Wilson so ziemlich das Gegenteil von "hip": Ihre Songs sind
meist deutlich über fünf Minuten lang, komplex und kompliziert
und zeichnen sich durch stete Wechsel von Klangfarben und Rhythmik aus.
Das ist natürlich nicht gerade neu. Das gab´s auch schon
in den 70ern, als die frühen Yes, Genesis, King Crimson, Pink Floyd
oder UK die Metrik von Rock neu vermessen wollten. Und Wilson &
Co. haben sich die alte Garde genau anghört - zum einzigen Anachronismus
verkommt die Band trotzdem nicht. Warum? Vielleicht, weil das Quartett
vom Stachelschwein-Baum (Porcupine Tree) ihre Klänge auch mal mit
modernen Nu-Metal-Riffs und Drumm-Loops würzt. Oder weil sie in
einigen Titeln wie "Prodigal" oder "Colapse The Light
Into Earth" wie Pink Floyd während der legendären Dark
Side Of The Moon-Phase prächtig zeitlose Harmonien anbieten. Oder
weil bei In Absentia - um beim Kleinen Latinum zu bleiben - auch das
Motto "variatio delectat" nicht fremd ist: Abwechslung macht
Spaß. Wem der Neo-Prog-Rock von Dream Theater zu anstrengend ist,
der sollte hier unbedingt mal rein hören. Es lohnt sich!
kulturnews (Februar 2003):
Auf
den Schwingen der Akustikgitarre brechen die Briten auf in die wundersamen
Welten des Progpop, die natürlich auch harte E-Gitarren parat halten
und Synthiestreicher und harsche Rhythmuswechsel. Alles an dieser Musik
hat Niveau, alles ist ausgetüftelt und dennoch nichts überkandidelt.
Wesentlich verantwortlich dafür ist Steven Wilson, Sänger
und Bediener vieler Instrumente, der die seit 1993 in der Indie-Szene
sich hochschuftende Band auch noch mit Weltmeisterrefrains und -riffs
versorgt. Wie im Song "Sounds of Muzak"; der wird sicher auf
den Bestenlisten des Jahres landen. Eine Band wie ein Gegenentwurf zum
Garagenrock-Boom: kein falscher Ton, kein schlampiger Übergang.
Tut auch mal wieder gut.
aktiv Musikmagazin (Februar 2003):
Progi - Helden
Er
könnte glatt als Kulturpessimist durchgehen. Eben weil Steven Wilson,
Mastermind der britischen Porcupine Tree, der Gegenwart so gar nichts
abgewinnen kann - schon gar nicht musikalisch. "Schau dir nur die
heutige Jugend an. Die steht auf Computerspiele oder Skateboards und
dann kommt irgendwann Musik. Sie hat keine Priorität mehr."
Womit der 35 - Jährige gleichwohl den ganzen Müll erklärt,
der sich in den Charts tummelt: Boygroups, Teenstars und Coverbands.
"Die Leute sind faul und satt geworden", lautet der zynische
Kommentar. "Schau dir nur Bands wie Nickelbag an - die haben doch
keine Seele." Ganz im Gegensatz zu Stevens Helden der 60er und
70er : Pink Floyd, Led Zeppelin, Black Sabath und King Crimson. Bands,
denen er mit seiner eigenen Truppe huldigt, wo er nur kann und deshalb
auch als Erneuerer des Prog - Rock gefeiert wird. Eine Mission, der
sich Porcupine Tree nun schon seit 10 Jahren und genauso vielen Alben
widmen - und nun selbst auf dem Sprung in den Mainstream stehen. Eben
mit einem ersten Major - Deal und einem Album, das weitaus poppiger
und zugänglicher ist als ihre früher oft rabenschwarzen Elaborate.
" Es ist nicht so, als wären wir bewusst kommerzieller geworden",
verteidigte sich Steven. "Wir haben uns einfach in eine melodischere
Richtung entwickelt. Und wer uns das übelnimmt, übersieht
vor allem eins: Wer Prog - Rock spielt, hat die Freiheit, alles mögliche
zu tun. Da gibt es keine Grenzen." Und die loten Porcupine Tree
systematisch aus.
St. Galler Tagblatt, 31.01.2003, Nr. 25:
Aus Fleisch und Blut
Die
britische Band Porcupine Tree ist eine real gewordende Fiktion: Entstanden
aus der zum Spass erfundenen Biografie einer angeblich legendären
Psychedelc-Rock-Combo der 70er, hat die Gruppe um den Multiinstrumentalist
und Sänger Steven Wilson seit ihrer Fleischwerdung 1993 den Status
des Geheimtipps mittlerweile übertroffen. "In Absentia",
ihr insgesamt siebtes Studio-Album, ist die erste Veröffentlichung
für die Major-Company Warner. Der kunstvollen Verarbeitung ihrer
von Pink Floyd, frühen Genesis oder King Crimson beeinflussten
Art-Rock-Kompositionen hat der Wechsel nicht geschadet: Atmosphärisch
dicht wie gewohnt, unkonventionell in der Struktur und trotzdem modern
- so klingt gute, handgemachte Rock- Musik im Jahr 2003.
Rolling Stone:
Bisher konnte man den Platten des Londoner Porcupine Tree-Chefs Steven
Wilson immer schon am Vertriebsstempel ansehen, dass er die Musik vor
allem für die Leser von niederauflagigen Acid-Rock-Fanzines machte.
Das seit 1992 zehnte Album erscheint überraschend beim Major Warner,
ist folgerichtig noch weniger verkautzt und verdrogt als die früheren
Space-Odyseen: Folk-Psychedelia mit immer mehr Heavy-Jazz-Rockouts,
der Gesang wie gewohnt knappenhaft schön, die geschwätzigen
Gitarrensoli und Riff-Dampframmen aber schon an der Grenze zum Provinzband-Kitsch.
Hamburger Morgenpost, 21.02.2003:
Zwar bewirbt sich das englische Quartett Porcupine Tree mit der CD "In Absentia" scheinbar um den Award für
das ekelhafteste Plattencover des Jahres, aber eben gerade deswegen überrascht das Album nicht schlecht! Vermutet man doch
hinter diesem Cover, dem düsteren Booklet und der ganzen Aufmache eine der unermüdlich wie Fastfoodrestaurants aus dem Boden
schießenden Nu-Metal-Kapellen. Ha! Finte! Während der Einsteiger "Blackest Eyes" genauso beginnt, wie man
es erwartet, nämlich mit Donnergitarren, hart und heftig, soll man eigentlich nur geschickt ins Bockshorn gejagt werden.
Denn dann entspannt sich das Stück und macht einer zarten, psychedelischen, chorstarken BeachBoys-Pink-Floyd-Quadrophenia-Seligkeit
Raum.
"Song-Cycle" nennt Porcupine Tree-Frontmann Steve Wilson jenen Versuch, alle Elemtente von früheren
guten Alben in einen Longplayer hineinzupacken. Der Song als Einzelstück verliert an Gewicht, das Album wird
wieder als Gesamtkunstwerk konzipiert, so wie früher "Dark Side Of The Moon", "Quadrophenia"
oder "Pet Sounds". Steve Wilson heißt der Sänger? Wilson? Nein, er ist nicht mit den Beach Boys
Brian, Dennis oder Carl verwandt, versichert er, höchstens mental. Das musikalische Ergebnis scheint auf den
ersten Blick entsprechend nostalgisch. Die Idee, alles, was man früher mochte, zu vermengen, ergibt ein Konglomerat
aus "Dark Side Of The Moon", Beatles, den Buckleys, Rush, Pet Shop Beach Boys und Filmmusik. Der Grundtonus
ist äußerst melancholisch und manchmal schräg. Die Produktion trägt dick auf, die hallenden
Akustikgitarren, der traurige Gesang und das Piano im Vordergrund werden getragen von schwebenden, sphärischen,
auch elektronischen Klängen, hundertfachen kunstvollen Chören, wabernden, fliegenden Klangteppichen,
Schleierfetzen von hallenden Traumsequenzen und den unzählig vielfältigen Einflüssen, die Porcupine Tree
in ihr Gesamtkunstwerk einarbeiten. Kunst, Bücher, Filme, Gemälde, Radiohead, Progrock, Wilco, Psychodelic,
Zwölftonmusik, Impressionismus, zerstörerische Gitarrenorgien, Tom Waits, Luigi Nono, Hollywood, Jazz,
Industrial oder Flaming Lips. Das Album könnte man bereits jetzt als Klassiker bezeichnen, so ist es ja auch
konzipiert, auch wenn die Tatsache, dass es oft so klingt, als ob es 30 bis 40 Jahre alt wäre, manchmal stört.
Auch die unmotiviert hinein gedonnerten Heavy-Teile wie auf "Wedding Nails" und "The Creator Has A
Mastertape" reißen den Hörer aus dem schönen Hörerlebnis. Aber Porcupine Tree würden
sich eher die Finger abbeißen, als sich auf einen bestimmten Musikstil festzulegen oder in irgendeiner Art
kommerziell zu arbeiten. Das ehrt sie, aber das alles muss man natürlich mögen, es wird kaum einen
Musikfreund geben, der emotionslos - positiv wie negativ - an Porcupine Tree vorübergehen wird. Auf jeden Fall ist
die Struktur dieses Konzept-Albums äußerst kreativ und spannend, wenn auch manchmal zur rührseligen
Nostalgie einerseits und zum gelinden Wahnsinn andererseits neigend.