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Interviews
Interview mit Steven Wilson - Tools 4 Music (02/2005):


Tools 4 Music (02/2005)

Interview mit Steven Wilson - Tools 4 Music (02/2005)
Progressiv - "Porcupine Tree" mit der neuen Produktion "Deadwing"

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Das Musikerdasein von "Porcupine Tree"-Chef Steve Wilson wirkt von außen betrachtet wie die Dauerresidenz in einem musikalischen Delikatessenladen. Angeödet von dem, was das Gros der Pop- und Rockmusik seit Ende der Achtzigerjahre präsentierte, schuf sich Wilson ein Netzwerk von Band-Vehikeln um seine Vorstellungen von idealer Musik in verschiedenen Disziplinen und Stilistiken realisieren zu können. "No-Man", "Bass Communion" und "Blackfield" sind nur drei der Projekte, die Wilson zum Erkunden von Ambient-Sounds, psychedelischer Rockmusik und äußerst geschmackvoll gestalteter Popmusik dienen.

Vor allem aber ist Wilson Dreh- und Angelpunkt bei der erfolgreichsten seiner vielen Bands, "Porcupine Tree". Deren neues Album "Deadwing" führt mit einem deutlichen Zuwachs an Metal-Anteilen, grandios in Szene gesetztem Harmoniegesang und feinster Produktionstechnik konsequent den Weg fort, den das Vorgängeralbum "In Absentia" vorgegeben hat. Mal abgesehen davon, dass die neuen Stücke von "Deadwing", trotz ihrer bisweilen zehn Minuten Spielzeit, deutlich mehr klassische Songstruktur besitzen als "In Absentia". Wie man mit verhältnismäßig geringem Budget eine der herausragendsten Produktionen der letzten Jahre schaffen konnte und von seiner unglaublichen Produktivität, erzählt Steve Wilson im Interview.

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Erst die Aufnahmen zum "Blackfield"-Album im letzten Jahr, dann die Aufnahmen zum neuen "Porcupine Tree"-Album "Deadwing", dazwischen eine "Blackfield"-Tour, und jetzt gehst du mit "Porcupine Tree" auf Tour, während du schon Songs für die nächste "Blackfield"-Scheibe schreibst. Weißt du überhaupt vorher, für welches deiner Projekte du jeweils komponierst?

Steve Wilson:

Ja, bis jetzt war es ziemlich leicht für mich festzulegen, für welches Projekt ich gerade schreibe. Denn die meisten sind ja keine Solo-Projekte, sondern Kollaborationen mit anderen Musikern. Wenn ich alleine songähnliche Stücke für eine Rockband schreibe, waren die bislang immer von vornherein für "Porcupine Tree" gedacht. Mit dem Projekt "Blackfield" ist der Schreibprozess komplizierter geworden, weil "Blackfield" stilistische Parallelen zu "Porcupine Tree" aufweist. Ich befinde mich also zum ersten Mal in der Situation, dass bestimmte Songs für beide Bands relevant wären. Dennoch haben beide Projekte unterschiedliche Schwerpunkte. "Blackfield" besitzt diesen sehr rockigen, metallenen, riffbezogenen Stil nicht.

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Besteht trotzdem für dich als Songwriter die Gefahr, sich zu wiederholen, wenn man für zwei mehr oder weniger songorientierte Projekte schreibt?

Steve Wilson:

Immer (lacht)! Ich spüre beim Schreiben und Aufnehmen immer den Druck, mich nicht zu wiederholen. Das hat nichts mit der Anzahl an Projekten zu tun, in die ich involviert bin. Auch wenn ich ausschließlich mit "Porcupine Tree" beschäftigt wäre, hätte ich diese Wiederholungsparanoia. Ich versuche, für jedes neue "Porcupine"-Album die Dinge so frisch wie möglich zu gestalten, was bei jedem Album schwieriger wird. Weil du mit jeder Platte einen weiteren Bestandteil deiner Band exploriert hast, den du anschließend nicht noch einmal untersuchen willst. Vielleicht bin ich auch überempfindlich, was die eigene Wiederholung angeht. Eventuell habe ich dabei auch schon die eine oder andere gute Idee über Bord geworfen. Weil sie mir einfach zu vorhersehbar erschien. Aber so ist das Leben eines Songwriters. Zumindest ist das bei mir so.

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Was hältst du als jemand, der gerne Mellotron-Sounds einsetzt, von dieser "Retro-Welle", deren Vertreter auf Sounds der 60s und 70s schwören?

Steve Wilson:

"Retro" ist ein seltsame Sache. Ich würde allerdings das Mellotron eher als zeitlos bezeichnen. Nimm nur Stevie Wonders Alben aus den frühen Siebzigern. Diese Platten mit ihren Sounds sind absolut zeitlose Klassiker. Du kannst die Sounds, den Style und die Ideen dieser Alben nehmen, sie ein wenig verändern und trotzdem zeitgemäß klingen. Das haben wir bei "Jamiroquai" erlebt, der so ziemlich alles von Stevie Wonder geborgt hat. Es geht also bei diesem "Retro"-Ding nur um eine Sache: Ist deine Persönlichkeit als Musiker ausgeprägt genug, um die geborgten Ideen zu deinen eigenen zu machen. Jetzt, 2005, befinden wir uns an einem Punkt in der Rockmusik-Geschichte, an dem es nichts gibt, was es nicht schon vorher gegeben hat. Jedes Extrem, von der ausgeruhtesten Ambient-Musik bis zum aggressivsten, extremsten Metal und alles dazwischen, ist bereits beleuchtet worden. Es geht also bei aktuellen Songwritern nur darum, ob sie als Schreiber gut genug sind, die Vergangenheit zu recyceln und sie gegenwärtig klingen zu lassen. Heutzutage nicht die Vergangenheit zu nutzen ist unvermeidlich. Von daher ist es komisch, dass irgendein Künstler als "Retro" bezeichnet wird, weil in Wahrheit alles "Retro" ist.

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Die wichtigen Musiker der Seventies haben ihre wirklich bahnbrechenden Alben im Alter zwischen 20 und 30 kreiert. Danach haben viele ihr Feuer und ihren Enthusiasmus verloren. Nimm nur ein Beispiel wie "Pink Floyd", deren beiden letzten Alben unfassbar langweilig waren. Fürchtest du mit zunehmendem Alter – du bist immerhin "schon" 37 - den Verlust deiner Kreativität?

Steve Wilson:

Du hast absolut recht, dass die meisten Bands ihre vitalsten Werke in einem bestimmten Abschnitt ihres Lebens produziert haben. Diese Gesetzmäßigkeiten ändern sich meiner Ansicht aber langsam. Rock'n'Roll gibt es erst seit 50 Jahren. Das ist eigentlich kein langer Zeitabschnitt. Die erste Welle der wichtigen 60er- und 70er-Bands schrieb bahnbrechende Musik zweifellos in ihrer Jugend. Aber der Rock'n'Roll wird langsam erwachsen. Inzwischen gibt es Künstler, die ihre besten Arbeiten im Alter zwischen 40 und 60 Jahren abliefern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Jazz-Szene. Jazz gibt es viel länger als Rockmusik. Einige seiner besten Werke hat Miles Davis produziert, als er über 50 Jahre alt war. Die Rockmusik wird sich in diesem Punkt am Jazz orientieren.

Tools 4 Music (02/2005)
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Hoffnung oder Glaube?

Steve Wilson:

(lacht) Nun ja, die "Rolling Stones" sind ja nun auch noch hin und wieder unterwegs. Ob deren Tourneen allerdings wichtig sind, ist zumindest diskussionswürdig. Ich habe nur eine logische Erklärung dafür, warum Bands ihr Feuer verlieren. Der Erfolg, den Bands wie "Pink Floyd" plötzlich mit "Dark Side Of The Moon" hatten, macht den Unterschied aus. Erfolg verändert deine Prioritäten. Die meisten Künstler verlieren nach großen Erfolgen ihre Motivation und wissen oft gar nicht mehr, warum sie ursprünglich überhaupt Musik machen wollten. Sie sind für Jahre auf Tour, um ihren Megaseller noch weiter zu promoten, leben in einer anderen Welt und wissen gar nicht mehr, worüber sie noch schreiben sollen.

tools 4 music:

Eine hypothetische Frage. Nehmen wir mal an, du wärst Chef einer großen Plattenfirma mit unvorstellbarem Budget und könntest dir deine ideale Band zusammenstellen. Wie würde die, mit deinem Wissen über die bedeutenden Musiker der Rockgeschichte, aussehen?

Steve Wilson:

Eine Supergroup auf die Beine zu stellen wäre für mich total langweilig. Wenn du den besten Gitarristen, den fantastischsten Drummer und den grandiosesten Songwriter zusammenwürfeln würdest, wäre das Ergebnis schätzungsweise ziemlich dünn und nichtssagend. Ich habe eine völlig andere Philosophie hinsichtlich Bands im Kopf. Die Chemie innerhalb einer Band muss stimmen, um wirklich herausragende Werke kreieren zu können. Dazu brauchst du nicht die größten Cracks als Instrumentalisten. Nimm eine Band wie "Pink Floyd". Offensichtlich war Gilmore der Musiker in der Band, während Mason und Wright eher weniger herausragende Instrumentalisten waren. Aber sie haben stark zu diesem langsamen, sehr spartanischen Gerüst bei "Pink Floyd" beigetragen. Und auch jetzt klingt der "Floyd"-Sound noch absolut zeitgemäß. Technisch versiertere Bands wie "Genesis" oder "Yes" klingen hingegen schon viel datierbarer.

tools 4 music:

Befindet sich "Porcupine Tree" irgendwo dazwischen?

Steve Wilson:

Ja, ziemlich exakt so sehe ich uns. Ich bin kein besonders guter Gitarrist. Richard ist weniger ein Keyboarder als ein Soundfreak. Wenn du ihn oder mich um ein kompliziertes Solo bitten würdest, hätten wir keine Ahnung, wie wir das hinbekommen sollten. Aber er ist ein Genie im Sounddesign. Unser Drummer ist der David Gilmour von "Porcupine Tree". Er ist ein brillanter Musiker. Aber einer ist genug. Zwei wären schon zu viel (lacht). Inzwischen ist "Porcupine Tree" eine Band mit einer ausgesprochen gut funktionierenden Chemie. Ohne Gavin, unseren Drummer, oder Richard würde die Band nicht mehr funktionieren. Dieser Satz killt hoffentlich für immer den Mythos das "Porcupine Tree" zu 98 Prozent aus mir besteht. Auf "Deadwing" gibt es Drumparts, die ich niemals hätte schreiben können. Und Keyboardsounds, die ich vielleicht noch denken, aber nicht mehr realisieren kann.

tools 4 music:

Auf "Deadwing" spielen Adrian Belew und Mikael Akerfeldt von "Opeth" als Gastgitarristen. Was haben die zur Musik beigesteuert, das du nicht selber hättest spielen können?

Steve Wilson:

Adrian hat ein paar absolut durchgeknallte Soli beigesteuert, die ich niemals spielen könnte. Er ist im Titeltrack und bei "Halo" zu hören. Mit Soli, die so seltsam klingen, dass man sie gar nicht als Gitarrensoli erkennt. Mikael spielt ein ziemlich bluesorientiertes Solo am Ende von "Arriving Somewhere But Not Here".

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"Deadwing" ist nicht nur musikalisch, sondern auch in puncto Produktion ein herausragendes Werk. Wie viel Budget verschlingt eine solche Produktion?

Tools 4 Music (02/2005)
Steve Wilson:

Wir haben die Songs fast komplett in unseren Heimstudios aufgenommen. "In Absentia" kostete doppelt so viel wie "Deadwing", weil wir dafür in große Studios nach New York und Los Angeles gereist waren. "Deadwing" aufzunehmen hat rund 75.000 Dollar gekostet. Darin sind allerdings auch schon die Kosten für das Equipment enthalten, das wir uns speziell für die Aufnahmen gekauft haben – zum Beispiel die besten Analog-Digital-Konverter. Aufgenommen wurde alles auf Harddisk. Außerdem haben wir uns die feinsten Mikros zugelegt, um die Sounds bestmöglich festhalten zu können. Das zeigt nur, was man heutzutage alles in halbwegs' gut ausgestatteten Heimstudios machen kann.

tools 4 music:

Mit Ausnahme des Drumsounds, der auf "In Absentia" majestätische Größe besaß und jetzt komprimierter klingt.

Steve Wilson:

Das stimmt. Aber wir haben den Drumsound diesmal ganz bewusst natürlicher und trockener gestaltet. Auf "In Absentia" klangen die Drums sehr explosiv und für meinen Geschmack im Nachhinein zu amerikanisch. Aber "Deadwing" wurde genau wie das letzte Album fast komplett mit "Pro Tools" aufgenommen. Ich weiß, dass der Drumsound bei einigen "Pro Tools"-Aufnahmen klein und unnatürlich klingt. Aber das ist eben eine Frage der Produktionserfahrung.

tools 4 music:

Mit "Lazarus" habt ihr eine veritable Hitsingle auf "Deadwing". Wie würdest du darauf reagieren, wenn sich "Deadwing" zur Überraschung aller plötzlich sieben Millionen Mal verkaufen würde?

Steve Wilson:

Ich wäre hoch erfreut, weil ich an unsere Musik glaube und sie mit so vielen Menschen möglich teilen möchte. Aber ein solcher Erfolg würde mich und meinen Weg als Musiker nicht mehr ändern. Ich bin inzwischen viel zu alt und zynisch, um mich von solchen Erfolgen überrennen zu lassen. Ein Phil Collins oder Jon Bon Jovi zu werden wäre für mich vollkommen absurd.

Michael Loesl
Tools 4 Music (02/2005)

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