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Interviews
Interview mit Steven Wilson - Rock Hard Nr. 240 (05/2007):


Rock Hard Nr. 240 (05/2007)


Interview mit Steven Wilson - Rock Hard Nr. 240 (05/2007)
Einsatz in vier Wänden - Porcupine Tree

"Fear Of A Blank Planet", das neue Album der New-Artrock-Vorreiter PORCUPINE TREE, ist ein schwer zu schluckender Brocken: ein Konzeptwerk, so düster, wie man es von den Engländern noch nie zuvor gehört hat. Aber "Fear Of A Blank Planet" ist noch viel mehr: ein eigener Kosmos, ein gesellschaftliches Statement, musikalisch besonders wertvoll und kaum zu übertreffen. Steven Wilson - Sänger, Gitarrist, Keyboarder, Songwriter, Texter und Produzent in Personalunion - bringt ein wenig Licht ins Dunkel.

Steven, was ist "Fear Of A Blank Planet"?

»Vor gut einem Jahr habe ich "Lunar Park" von Bret Easton Ellis gelesen, ein Buch, das unsere Welt widerspiegelt. Eine Welt, bestehend aus Tabletten, Eskapismus, Sex, MTV und dem Rumhängen in Shopping-Malls. Dieser Roman hat den Anstoß für "Fear Of A Blank Planet" gegeben. Dazu kommt, dass ich mich nach vielen Gesprächen, auch mit Journalisten, mit den heutigen Hörgewohnheiten in Sachen Musik auseinander gesetzt habe. Mir wurde bewusst, dass sich die Art, Musik zu hören, in den letzten Jahren deutlich verändert hat. Vor allem - aber nicht nur - bei jüngeren Leuten. Ich sah, welchen Einfluss die Download-Kultur, iPods und das Internet auf die Kunstform Musik haben. Ich dachte zurück an die Achtziger, als ich musikalisch sozialisiert wurde, auch mit vielen Platten aus den Sechzigern und Siebzigern, und es war nicht schwierig, zu erkennen, dass solche Alben nicht mehr gemacht werden. Die Aufmerksamkeitsspanne ist heutzutage zu gering, die Disziplin, einem Album 45 oder 50 Minuten bewusst zuzuhören und zu folgen, ist nicht mehr vorhanden. Es herrscht eine Art Jukebox-Mentalität.«

Eine große Leere, wie der Albumtitel suggeriert?

»Erst mal klingt der Titel witzig, weil er sich auf Public Enemys "Fear Of A Black Planet" bezieht. Aber es gibt natürlich einen Zusammenhang: Die von Public Enemy damals thematisierten Rassenkämpfe waren zu ihrer Zeit eine große, verbindende Sache für Jugendliche. Heute ist der gemeinsame Nenner der Kids, dass sie - speziell über das Internet - mit Informationen bombardiert werden. Das klingt erst mal gar nicht schlecht; aufgrund der Fülle an Nichtigkeiten hinterlassen diese Informationen aber keine Eindrücke mehr. Alles ist oberflächlich und leer. Nimm als Beispiel die Pornographie: Als ich aufwuchs, zehn oder auch 15 Jahre alt war, wusste ich kaum, wie eine nackte Frau aussieht. Heute ist ein Sechsjähriger lediglich zwei Klicks von unzähligen Pornos entfernt - und zwar von den extremsten, perversesten Pornos, die man sich vorstellen kann. Roger Waters hat mal ein Album namens "Amused To Death" veröffentlicht, und dieser Titel ist wahr: Wir "amüsieren" uns zu Tode. Das Verlangen nach Eskapismus, nach Unterhaltung wird immer existenzieller - und nichts bleibt oder hat eine tiefere Bedeutung.«

Wie kann man die Welt von PORCUPINE TREE am besten entdecken? Unter dem Kopfhörer? Oder darf man bei euren Platten auch den Abwasch erledigen?

»Ich benutze nie Kopfhörer; noch nicht mal, wenn ich im Studio aufnehme. Und ich würde auch niemanden dazu ermutigen. Ich weiß natürlich, dass das viele Leute anders handhaben. Kopfhörer sind prinzipiell ganz gut, um Einzelheiten zu entdecken. Die beste Lösung ist aber eine andere: ein ruhiger Raum in deinen vier Wänden, gedimmtes Licht, eine gute Anlage und am besten 5.1-Sound. Surround-Sound legt die einzelnen Schichten offen. Ich kann dir aber auch noch die definitiv schlechteste Möglichkeit nennen: mp3s. Es macht mich krank, dass die meisten Kids heutzutage denken, Musik würde so klingen, wie es das mp3-Format vermittelt: zusammengepresst, 90 Prozent der Informationen verloren, komprimiert in einer furchtbar tönenden Plastik-Datei. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, dass "Fear Of A Blank Planet" auf diese Weise konsumiert wird. Unsere Musik muss man in einer ordentlichen Soundqualität hören; sie ist gemacht, um gut zu klingen.«

Neben PORCUPINE TREE hast bzw. hattest du mit u.a. Blackfield, No-Man und Bass Communion weitere Projekte am Laufen, zudem bist du öfters als Gastmusiker zu hören und als Produzent - z.B. für Opeth, Marillion oder Paatos - tätig. Könntest du dir vorstellen, dich lediglich auf PORCUPINE TREE zu konzentrieren?

»Nein, und das wäre auch sehr ungesund. Das gilt im Übrigen nicht nur für mich, sondern für alle Bandmitglieder. In einer Band zu spielen, ist für mich kein monogamer Zustand. Das beste Beispiel: Wenn ich 2000 nicht die Möglichkeit gehabt hätte, mit Opeth zu arbeiten, hätte es gut sein können, dass es bei PORCUPINE TREE zur Stagnation gekommen wäre. Opeth haben mir eine Frischzellenkur verpasst. Ich produzierte ihr "Blackwater Park"-Album, kam zurück und schrieb in Form von "In Absentia" unsere härteste Platte. Ich habe sehr viel von Opeth gelernt, und ich hoffe, dass das umgekehrt ähnlich war, dass wir uns gegenseitig befruchten konnten. Sich mit Tunnelblick auf eine Sache zu konzentrieren, ist für einen Künstler nicht förderlich.«

Was ist denn aus dem gemeinsamen Projekt mit Opeth-Mastermind Mikael Åkerfeldt und Dream-Theater-Drummer Mike Portnoy geworden, das seit Jahren im Raum steht?

»Das ist noch nicht gestorben. Mikael und ich sprechen seit unserer ersten Begegnung darüber. Wir haben vor Jahren auch schon paar Sachen zusammen geschrieben. Wir sind beide Opfer unserer wachsenden Erfolge (lacht); uns fehlt es schlicht an Zeit. Wir kriegen das aber hin - und zwar ziemlich sicher innerhalb der nächsten 18 Monate. Wenn es bis dahin nicht geklappt hat, wird´s wohl nie mehr was.«

Gibt es in deiner seit 1987 währenden Karriere irgendwas, das du bereust?

»Musikalisch bin ich mit vielen alten Alben überhaupt nicht mehr zufrieden. Aber das ist wohl normal; das werden die meisten Musiker sagen. Die Musik, die man gemacht hat, spiegelt nun mal die damalige Persönlichkeit wider. Wenn ich alte Platten von mir höre, erkenne ich mich oftmals selbst nicht mehr, und ich mag sie nicht. Aber das ist eine Erfahrung, die man macht; nichts, was man bereut.

Ein wenig schade ist allerdings, dass wir bis jetzt noch keinen nennenswerten Durchbruch auf Mainstream-Ebene geschafft haben. Das würde uns in jeder Beziehung noch mehr Freiheit geben. Guck dir zum Beispiel Tool an: Wenn die Jungs eine neue Platte machen, ist die ganze Medienwelt gespannt - weil Maynard und seine Mannen eben auch dieses immense kommerzielle Standing haben. Ich fände es großartig, wenn "Fear Of A Blank Planet" die CD wäre, nach der jeder giert - vom US-"Rolling Stone" bis zu den europäischen Metal-Magazinen. Schade, dass es nicht so ist. Aber letztendlich habe ich musikalisch immer das gemacht, was ich wollte - und das ist mehr, als die meisten anderen von sich behaupten können.«

Wenn man deine Musik hört, erfährt man sehr viel: über Steven Wilson, über seine Gedanken, auch über eher allgemein gehaltene Dinge. Denkst du manchmal, dass es komplett unnötig ist, Interviews zu geben, weil deine Platten sowieso schon alles offenbaren?

»Das ist eine sehr gute Frage. (Er überlegt lange.) Nein. Ich denke, es gibt was zu sagen. Was man vor allem vermitteln sollte: Man kann Musik nicht erklären; es gibt eine Ebene, die sich selbst erklären muss. Musik ist immer noch eine gewaltige künstlerische Ausdrucksform, denn sie verlangt nach Einsatz. Und zwar nicht nur vom Erschaffer, sondern vor allem auch vom Hörer. Es geht letztendlich darum, das Vertonte in Beziehung zu seinem eigenen Leben zu setzen, selbst Interpretationen zu finden. Das ist schwieriger als bei Büchern oder Filmen. Musik ist immer noch ein Mysterium.«

Rock Hard Nr. 240 (05/2007)
Boris Kaiser
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