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Interviews
Interview mit Steven Wilson - Rock Hard Nr. 215 (04/2005):


Rock Hard Nr. 215 (04/2005)

Interview mit Steven Wilson - Rock Hard Nr. 215 (04/2005)
Porcupine Tree - Melancholisch in der U-Bahn

Für die einen sind sie DIE Heilsbringer der Progressive-Szene. Eine echte Rock-Sensation, sagen die anderen. Für PORCUPINE TREE-Mastermind Steven Wilson geht es jedoch um viel mehr. Und das trotz seines Majordeals.

Steven, mit "Deadwing" veröffentlicht ihr jetzt euer zweites Album bei einem Majorlabel. Was hat die Zusammenarbeit in den letzten Jahren gebracht?

Eigentlich nur Gutes, denn die Kooperation hat PORCUPINE TREE noch einmal einen riesigen Schub verpasst. In vielen wichtigen Ländern wie Deutschland oder den USA konnten wir uns vom Underground-Status lösen. Das soll nicht heißen, dass wir schon im Bewusstsein des Mainstreams angelangt wären, aber wir verkaufen inzwischen doch ein paar Scheiben mehr als früher. Die Zuschauerzahlen haben sich ebenfalls gut entwickelt. Die Macht des Marketings macht's möglich.

Keine negativen Aspekte?

Nun, wir sind ja bei Warner America unter Vertrag. Das Label veröffentlicht aber weltweit. Und in vielen Ländern wurde das Album deshalb überhaupt nicht beworben. Die interessiert es teilweise gar nicht, dass es eine Bands wie uns gibt. Viele Leute fragen natürlich, ob wir immer noch totale künstlerische Freiheit besitzen. Ja, die haben wir. Egal, ob bei der Musik oder dem Artwork: Niemand redet uns rein.

Wie schätzt du das Potenzial von "Deadwing" ein?

Wir werden auch weiterhin Singles und Videos veröffentlichen, falls du das meinst. Wir möchten auch künftig so viele Leute wie möglich erreichen. Aber der Mainstream wird von Jahr zu Jahr konservativer. Auch im Radio wird nur noch Kinderpop gespielt, und selbst der zugänglichste, kommerziellste PORCUPINE TREE-Song ist für diese Formate noch zu abgefahren. Wichtig ist, dass wir unseren eigenen künstlerischen Ansprüchen und unseren Fans gerecht werden. Wir wollen auch weiterhin an das glauben können, was wir machen. Aber hey, nimm Bands wie Radiohead, Tool oder The Mars Volta: Die verkaufen auch ganz gut. Kunst und Kommerz schließen sich also nicht unbedingt aus.

Welche Inspirationen sind in "Deadwing" eingeflossen?

Das Schreiben eines neuen Albums ist immer auch ein Rückblick auf die Zeit, die seit der letzten Produktion vergangen ist. Alles fließt mit ein: Erlebnisse, Musik, Bücher, Filme und Beziehungen. Wir setzen uns nicht hin und tüfteln ein Konzept aus. Ich lasse die Musik einfach strömen.

Dennoch gibt es diesmal einen feinen Unterschied.

Rock Hard Nr. 215 (04/2005)

Ich habe zusammen mit meinem Freund Mike Bennion (britischer Independent-Filmer, der zusammen mit "In Absentia"-Fotograf Lasse Hoile auch das 72-seitige Booklet von "Deadwing" entwickelt hat - mbo) ein Film-Script geschrieben, und die Texte orientieren sich hauptsächlich an dieser Geschichte. Das Album ist also thematisch etwas vorbelastet.

Worum geht's?

Hm, ich würde es eine surreale, klaustrophobische Geistergeschichte nennen. Viele Szenen werden in der Londoner U-Bahn spielen. Sehr melancholisch, mit vielen traumartigen Sequenzen und plötzlichen Ausbrüchen von Gewalt und Aggression. Der Film ist das visuelle Gegenstück zu PORCUPINE TREE.

Eine echte filmische Umsetzung ist aber eher unwahrscheinlich, oder?

Es ist ja schon schwierig, einen Plattenvertrag zu kriegen. Multipliziere die Probleme mit hundert, dann bist du in der Filmindustrie angekommen. Selbst die billigen Filme kosten ja heute schon ein paar Millionen Dollar. Aber wir werden alles daran setzen, dieses Projekt zu realisieren. Das wird wohl die letzte große Herausforderung meiner Karriere sein.

Welche Erlebnisse haben dich in den letzten Jahren am meisten geprägt?

Meine Reisen nach Israel (Wilsons Blackfield-Projekt mit dem israelischen Superstar Aviv Geffen hat auch dort einige Beachtung gefunden, u.a. mit zwei Nummer-eins-Singles - mbo) waren sehr wichtig für mich. Ich habe das Land lieben gelernt und viele neue Freunde gefunden. Israelis und Briten haben eine total gegensätzliche Mentalität. Engländer sind zurückhaltend, höflich, fast schüchtern. Die Israelis dagegen leben äußerst leidenschaftlich, laut und offen. Das hat schon ein bisschen auf mich abgefärbt. Ich bin vermutlich ein wenig selbstbewusster geworden. Vielleicht auch direkter.

Glaubst du, dass der gegenwärtige Friedensprozess eine echte Chance hat?

Jetzt, da Arafat aus dem Weg ist, gibt es Aussicht auf Erfolg. Es wird aber noch Jahrzehnte dauern, bis die Region wirklich stabil bleibt. Die letzten vier Jahre haben beispiellose Unruhe gebracht, aber nun scheint wieder eine Phase der Annäherung zu beginnen. Ja, ich glaube, dass Frieden möglich ist.

Wie viel von der eigenen Persönlichkeit steckt generell in deinen Texten?

Sehr viel. Ich will hier nicht behaupten, dass ich es gar nicht anders könnte, weil ich in der Vergangenheit auch schon abstrakter geschrieben habe. Aber generell geht es bei mir nicht ohne Persönlichkeit. Je sicherer ich als Songschreiber geworden bin, desto mehr habe ich auch meine eigenen Gefühle und Erfahrungen mit einbezogen. Es ist aber leicht, sich hinter Worten zu verstecken. Ich versuche inzwischen, mich gradliniger auszudrücken. Manchmal ist Klarheit viel kraftvoller als Komplexität. Auf keinen Fall aber sollen meine Texte als Gedichte verstanden werden. Sie müssen Hand in Hand mit der Musik gehen. Über dieses Thema habe ich mich neulich noch mit Mikael Akerfeldt von Opeth unterhalten. Seine Texte haben null Bedeutung, und er gibt das auch zu. Typische Death-Metal-Symbolik halt. Er malt mit Worten, und es klingt dann irgendwie hart.

Ein Großteil aller Metalbands geht wahrscheinlich so vor...

Ja, das gehört wohl dazu. Wahre Emotionen finden in diesem Kontext häufig einfach nicht statt. Das Genre an sich ist eine Flucht vor der Wirklichkeit, eine Illusion.

Das Interesse an deiner eigenen Person hat in den letzten Jahren immens zugenommen. Redest du gern über dich?

Nein, überhaupt nicht. Aber ich mache es, weil es Teil des Geschäfts ist. Es ist auch anstrengend für mich, jeden Abend auf der Bühne zu stehen und Songs zu singen, die mein Leben thematisieren. Hört sich irgendwie komisch an, ist aber die Wahrheit. Anderseits freut es mich natürlich. Welcher Künstler würde sich nicht über Zuspruch freuen?

Die Frage stellt sich vor allem, da du von vielen Fans inzwischen als eine Art unnahbarer Messias des neuen Artrock stilisiert wirst.

Das liegt vielleicht daran, dass ich Themen anspreche, die andere ignorieren. Ich bin offen, ehrlich und teile meine Ideen und Meinungen mit. Vermutlich glauben die Leute deshalb, ich hätte einen Masterplan, um dieses Genre ins neue Jahrtausend zu führen. Habe ich aber nicht. Ich rede einfach nur viel darüber. Andere Bands erzählen dir wahrscheinlich ständig, wie toll sie Genesis finden. So was wirst du von mir nicht hören. Was interessiert mich deren Plattensammlung? Was denken diese Leute über die Welt? Wie wirkt sich das auf ihre Musik aus? Das sind doch die wirklich interessanten Themen. Mikael von Opeth kann dir auch stundenlang erzählen, wo er dieses oder jenes Riff herhat. Für mich ist Musik aber einfach mehr als das.

Rock Hard Nr. 215 (04/2005)

Mike Borrink
Rock Hard Nr. 215 (04/2005)

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