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Interviews
Interview mit Steven Wilson - Eclipsed (04/2005):




Interview mit Steven Wilson - Eclipsed (04/2005)
Am Whirlpool mit Steven Wilson

Das Hamburger East-Hotel, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kultur, Kommerz und Kiez gelegen, ist alles andere als ein normales Hotel: Durchgestylt bis ins kleinste Detail. Wer seine Herzdame mal zu einem Essen in extravaganter Atmosphäre einladen möchte und über das nötige Kleingeld verfügt, sollte hier rechtzeitig einen Tisch bestellen. Auch die Zimmer haben es in sich und bieten alle Möglichkeiten für eine aufregende Nacht: Der Whirlpool befindet sich gleich neben dem Bett, in Sichtweite zum Flachbildschirm des TV-Geräts und in Armreichweite zur Bar. Also genau das richtige Ambiente für ein Gespräch mit Steven Wilson über das neue Porcupine Tree-Album "Deadwing", auch wenn die seltsam geformten Sessel etwas ungemütlich sind.

eclipsed: Der Titel "Deadwing" hat etwas Bedrohliches. Gerade in der heutigen Zeit erinnert er an Kampfflugzeuge, die den Tod bringen.

Steven Wilson: Oh nein, der Titel ist anders gemeint. Es ist das Sinnbild dafür, einen schwerwiegenden, körperlichen Schaden zu haben oder zu erleiden, eben wie ein toter oder gebrochener Flügel bei einem Vogel, so dass die Grundlage des eigenen Lebens entzogen wird. Ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel kann nicht mehr fliegen.

eclipsed: Das klingt nach einem Konzept für das Album.

Wilson: In gewisser Weise ist es das auch. Aber wenn man es nicht weiß, dann merkt man nicht, dass die einzelnen Songs zusammen hängen. Das Konzept für die Songs folgt in Auszügen einem Filmskript, das ich mit meinem Freund Mike Bennion geschrieben habe. Es geht darin um David, einen Soundeditor, also jemanden der für Filme die Sounds zusammenstellt. David lernt eine Person kennen, die sein Leben entscheidend beeinflusst und die sich schließlich als etwas ganz anderes entpuppt als das, was sie ursprünglich darstellt. David verliert dabei sein Gehör. Damit ist seine Lebensgrundlage weg. Im Film soll es dann auch ganz still werden. Der Zuschauer fühlt sich also wie David. Erst ganz allmählich kommen vereinzelte Geräusche wieder. Das mag düster klingen, ist es aber nicht. Es ist eher melancholisch und verträumt, genauso ist auch "Deadwing" geworden: Melancholisch und verträumt. Zwei Eigenschaften, die man Porcupine Tree schon immer nachgesagt hat.

eclipsed: Wie seid Ihr an das Album herangegangen? Welche Erwartungen hattet Ihr an Euch selbst?

Wilson: Von der künstlerischen Seite gab es keine besonderen Ziele. Wir sind einfach ins Studio gegangen und haben versucht, es so gut wie möglich zu machen. Und das ist auch dabei raus gekommen. Ich bin sehr stolz auf "Deadwing". Vieles daran ist eine logische Weiterentwicklung von dem, was wir auf den Alben zuvor gemacht haben. Du hörst die Verträumtheit von "Stupid Dream", die Depression von "Lightbulb Sun" und die Düsternis von "In Absentia". Aber es sind auch einige Sachen dabei, die mit nichts im Porcupine Tree-Backkatalog vergleichbar sind, "Halo" zum Beispiel...

eclipsed: "Halo" erinnert mich aber an "Slave Called Shiver"...

Wilson: Stimmt, da hast du Recht, aber "Halo" ist ganz anders entstanden. "Halo" ist eine Komposition der ganzen Band, die sich quasi erst im Studio entwickelte. Aber zurück zu deiner Frage: Natürlich gibt es Erwartungen von Seiten des Labels, was die Verkaufszahlen betrifft. Aber im kreativen Prozess sind wir völlig unabhängig, da redet uns niemand herein und da machen wir das, was wir wollen. "Deadwing" ist exakt so geworden, wie wir es wollten. Das Label hat natürlich hinterher einen Einfluss. Rein aus Spaß haben wir eine neue Version von "Shesmovedon" aufgenommen. Das Label hat sie gehört und fantastisch gefunden. Vielleicht wird es noch mal als Single in den USA veröffentlicht. Also wollten sie, dass der Song auf das Album kommt. Mit dem Kompromiss als Hidden Track ganz am Ende kann ich gut leben. Dennoch, wir sind uns des Drucks bewusst, eine bestimmte Anzahl an Alben verkaufen zu müssen. Was genau passiert, weiß ich nicht. Aber es ist doch gut möglich, dass sie uns rausschmeißen, wenn wir keine 250.000 Exemplare von "Deadwing" verkaufen. Wer weiß das schon? Doch wir sind mittlerweile zu alt und zu zynisch, um uns darüber Gedanken zu machen.

eclipsed: Mich stört das "Shesmovedon" am Ende etwas, denn "Glass Arm Shattering" wäre der perfekte letzte Song gewesen. Er ist so schwebend und verträumt und wird alle Fans versöhnen, die sich nicht mit den härteren Passagen anfreunden können.

Wilson: "Glass Arm Shattering" ist wirklich Old Porcupine Tree School, sehr langsam und schleppend. Aber wir haben diesen Song nicht aufgenommen, um die alten Fans zufrieden zu stellen. Wir nehmen die Alben so auf, dass sie uns gefallen, und niemanden sonst. Der Song ist auch eine Gemeinschaftskomposition. Ich selbst würde wohl so einen Song nicht mehr schreiben. Aber wenn wir als Ganzes funktionieren, dann funktionieren wir eben so. "Glass Arm Shattering" hat einige sehr komplexe Vocal-Parts, die wir auf früheren Alben bestimmt nicht aufgenommen hätten. Mir gefällt der Track sehr.

eclipsed: In "Arriving Somewhere But Not Here" benutzt Ihr kleine Klick-Geräusche. Sie sorgen zu Beginn für einen atmosphärischen Anfang und im Mittelteil werden sie fast wie Percussion eingesetzt. Ist das eine Anspielung auf deine Vorliebe für die moderne Elektronik von Projekten wie Autechre oder Aphex Twin?

Wilson: Nicht direkt, denn diese Klicks hat Richard eingebracht. Ich weiß wirklich nicht, wie er sie erzeugt hat. Er kam auf einmal damit an. Er ist wie ich ein großer Fan der Bands vom Warp-Label: Autechre, Aphex Twin, aber auch Boards Of Canada oder Squarepusher. All diese Cut'n'Click-Technik ist sehr faszinierend. Ich ermutige Richard auch immer, solche Sachen in Porcupine Tree einzubringen. Überhaupt ist Richard kein normaler Keyboarder. Ich würde ihn eher als Sounddesigner bezeichnen. Bei ihm trifft dieses Klischee zu, dass er weniger die Tasten drückt als viel mehr an irgendwelchen Knöpfen dreht, um seine eigenen Sounds zu erzeugen...

eclipsed: Die klaren Pianolinien in "Lazarus" und "Start Of Something Beautiful" scheinen überhaupt nicht Richards Stil zu sein.

SW: Richtig, die habe ich auch selbst gespielt, wie bei allen Alben bisher. Das Piano ist einfach nicht Richards Ding. Live wird er es aber spielen.

eclipsed: Apropos live. Wird John Wesley wieder als zweiter Gitarrist dabei sein? Euer Live-Sound gewinnt dadurch enorm. Wenn man mal die "Even Less"-Version von dem "XM"-Album mit John vergleicht mit der Version vom "Warzawa"-Album ohne John, dann...

SW: ... klingt die "XM"-Version viel voller und kräftiger, richtig? Ja, John wird wieder dabei sein. Auf "Deadwing" sind so viele gleichzeitig gespielte Gitarrenparts, die immens wichtig für den Gesamtsound sind. Da ist es unmöglich, die neuen Songs nur mit einem Gitarristen zu spielen.

eclipsed: Was erwartet uns auf der Tour im April?

SW: Wir werden das visuelle Konzept der "In Absentia"-Tour fortführen. Auch zu den neuen Tracks, die wir live spielen werden, hat Lasse Hoile erneut sehr stimmige Projektionen und Multimediaeffekte beigesteuert. Daneben spielen wir aber noch ein paar weitere Tracks aus der jüngeren Vergangenheit.

eclipsed: Und was ist mit den Tracks der Anfangsjahre?

SW: Da haben wir ebenfalls etwas geplant. Gavin hat ja die Stücke vom "Up The Downstair"-Album neu eingespielt. Einige der Tracks haben ihm wohl richtig gut gefallen. Lasst Euch also überraschen.

eclipsed: Du erwähntest schon Lasse Hoile. Er hat wieder das Artwork gestaltet? Beim großen Buch zu der Limited-Edition mit der 5.1-Version konnte er sich bestimmt richtig austoben?

SW: Nein, eigentlich nicht. Lasse hat nur das Cover gestaltet. Das Buch stammt von Mike Bennion. Es sind aber auch ein paar Typografien von Lasse enthalten. Also genau genommen ist es eine Gemeinschaftsarbeit zwischen den beiden. Es sieht aber großartig aus.

eclipsed: Mit Mikael Akerfeld von Opeth und Adrian Belew von King Crimson sind weitere Mitstreiter dabei. Wie kam es dazu?

SW: Wie du weißt, wollte ich mit Mikael schon immer etwas außerhalb von Opeth zusammen machen. Auf "Deadwing" hat er einige Harmony-Vocals beigesteuert und vor allem ein Gitarrensolo am Ende von "Arriving Somewhere But Not Here". Und Adrian Belew ist ein großer Fan von uns. Er hat sich einfach bei uns gemeldet und nachgefragt. Es ist ein faszinierender Gitarrist und hat tolle Soli zum Titeltrack und zu "Halo" eingespielt. Es war für uns alle ein großer Spaß, mit den beiden zu arbeiten.

Interview: Bernd Sievers
Eclipsed Nr. 71 (04/2005)

Eclipsed Nr. 71 (04/2005)
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